Ein Interview mit Cornelia Hackner
Leiterin und Natur- und Erlebnispädagogin des bilingualen Waldkindergarten Lumberjack
Waldkindergärten sind in Deutschland recht beliebt. Was ist eigentlich ein Waldkindergarten?
Der Kindergartenalltag eines Waldkindergartens findet fast durchgehend im Freien und bei jedem Wetter statt. Die Kinder spielen mit Naturgegenständen, die sie in ihrer Umgebung finden. Auf normales Spielzeug wird verzichtet. Abgesehen von diesem Unterschied, werden die Kinder in Waldkindergärten genau wie in konventionellen Kindergärten gefördert, begleitet und betreut.
Die moderne Lebenssituation unserer Kinder ist von Reizüberflutung und gelenktem Freizeitangebot geprägt, und oft fehlt die Zeit und der Raum ihrem natürlichen Bewegungsdrang nachzukommen. Der Aufenthalt in der freien Natur fördert unser Wohlbefinden und inneres Gleichgewicht. Wald- und Naturkindergärten greifen diese Tatsache auf, indem Sie den Kindern erlebnis- und beschäftigungsspezifische Anreize stellen.
Und wie wirkt sich das bei den Kindern aus?
Im Wald haben die Kinder viel Platz. Manche Konflikte entstehen im Wald erst gar nicht, weil es mehr Platz und Möglichkeiten gibt und die Kinder den Raum haben, um sich zurückziehen zu können. Kinder wollen sich immer viel bewegen, hüpfen, springen und toben. Im Wald können sie ihren Bewegungsdrang ausleben. Hier wird niemand gestört. Da ist es egal, wenn sie losflitzten oder über einen Baumstamm springen wollen.
Sind die pädagogischen Ziele im Wald andere und wie werden sie umgesetzt?
Wir arbeiten nach dem Bayerischen Erziehungs- und Bildungsplan und können im Wald allen Zielen des Plans nachgehen. Der Unterschied liegt in der Art und Weise der Umsetzung.
Da wir im Wald wenig vorgefertigte Materialien benutzen werden, entstehen ganz viele Rollenspiele. Dadurch wird die Sprache der Kinder auf einem natürlichen Weg gefördert, weil sie viel reden müssen. Es ist auch bewiesen, dass die Sprechbewegungen in die Gesamtmotorik eingebettet sind und durch viel Bewegung der Sprachfluss gefördert wird.
Auch Mathematik kann im Wald sehr gut umgesetzt werden. So werden wir auch im Wald ab und zu Zahlenblätter verteilen und mit Stift und Zettel arbeiten. Doch hauptsächlich erlernen wir die Mathematik mit Hilfe der Natur. Um die Größe von Dingen begreiflich zu machen, werden Steine oder Tannenzapfen gesucht und der Größe nach sortiert. Wir bauen auch viel wodurch die Kinder Geometrie begreifen, z. B. beim Bauen einer Waldschaukel.
Beim Bauen wird auch die Sozialkompetenz der Kinder stark gefördert. Es ist ganz selten, dass ein Kind etwas ganz alleine baut. Etwas erschaffen, zum Beispiel ein Tipi, das passiert meist in einer Kleingruppe oder in der gesamten Gruppe.
Flexibilität wird im Wald ebenso gut gefördert. Da wir immer wieder neue Waldplätze besuchen, müssen sich die Kinder stets auf neue Situationen oder neue Gegebenheiten einstellen. Und auch durch die Veränderungen der Jahreszeiten oder des Wetters sieht die Natur immer wieder anders aus. Somit meistern die Kinder während des gesamten Jahres immer wieder neue Herausforderungen und dabei ist immer wieder Flexibilität und Problemlösung gefragt.
Wenn man über die Vorschule nachdenkt, sieht man vor seinem geistigen Auge Kinder beim Üben der Buchstaben mit Stift und Papier am Tisch sitzen. Wie sieht die Vorschule im Wald aus?
Im letzten Jahr vor der Schule werden wir uns einmal wöchentlich für ungefähr ein bis zwei Stunden mit den Vorschulkindern zusammensetzen. Auch dabei wird wieder speziell auf die Sprachförderung und Mathematik eingegangen, so dass die Kinder sprachlich fit werden und mathematische Grunderfahrungen sammeln.
Mathematik werden wir nach dem System von Prof. Preiß zur Umsetzung von Mathematik für Kinder im Wald erlernen. Prof. Preiß benutzt beim Zählen und beim Rechnen ganz viele Naturmaterialien. Die Kinder bekommen Aufgaben bei denen sie zuerst etwas sammeln müssen und dann auf vorgefertigte Zahlen legen sollen. Zum Beispiel heißt die Aufgabe, die Kinder sollen fünf Steine auf das Tuch auf dem die „5“ steht legen und sieben Tannenzapfen auf das Tuch mit der „7“ und so weiter.
Zum Schreiben lernen benutzen wir auch Papier, Karton und Zettel sowie Scheren, so dass die Kinder schneiden, malen und basteln können. Im Bauwagen ist unser Materiallager. Ansonsten benutzen wir auch einfach Sand, um Buchstaben und Zahlenreihen zu schreiben. Bei den Kindern ist es auch sehr beliebt, die Buchstaben und Zahlen mit Seilen nachzulegen. Im Kindergarten kommt es ja noch nicht darauf an, dass sie perfekt schreiben können, sondern einfach, dass sie die Formen kennenlernen und den Bezug zu Buchstaben und Zahlen entwickeln. Die Vorschulkinder suchen von sich aus gerne Buchstaben, die sie in der Natur finden, z.B. ist eine Astgabel ein Y oder ein A.